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Die klassische Reitkunst, was ist das?

Reiten nach klassischen Grundsätzen, dass ist eine viel benutzte Formel, um eine Reitweise zu beschreiben, die eine Pferdeschonende Ausbildung als ihr Hauptziel definiert. Die freiwillige Mitarbeit des Pferdes soll dabei im Vordergrund des geschehenes stehen. Weiter noch, es geht um einen Weg der sich zurückbesinnen soll auf die Grundsätze der klassischen Reitlehre, basierend auf den Lehren der alten Meister.
Beschreibt diese Definition wirklich die klassische Lehre der alten Meister?

Gerade in unseren heutigen Zeit, wo anscheinend alte Traditionen in Vergessenheit zu geraten drohen, ist die Rückbesinnung auf klassische Werte wichtig, auch mit dem Ziel ein Pferd auch Pferdegerecht behandeln zu wollen.

Aber was ist das alt Bewährte, wo kommt es her, gibt es überhaupt eine reine Lehre der klassischen Reitkunst?
Helfen uns die Lehren der alten Meister wirklich die klassische Reitkunst als eine Einheit zu begreifen?

Vielleicht liegt die Antwort ganz wo anderes. 
Der Weg zur Klassischen Reitkunst sollte ein Weg des Hinterfragens werden, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen.

Dabei stellt sich die Frage gibt es eine Gewissheit des richtigen Handelns, kann es da eine universelle Wahrheit geben.
Mir scheint es wichtiger den je, dass wir uns dem Begriff der klassischen Lehren und damit der Pferdeausbildung neu nähern müssen.
Denn auch ich bediene mich der Begrifflichkeit der klassischen Ausbildung. Dennoch möchte ich mich nicht der allgemeinen üblichen Halbwahrheiten anschießen, dass der Inhalt dieser Lehre das Ziel verfolgt eine Pferdeschonende Ausbildung zu praktizieren. Ein Blick in die Geschichte wird zeigen, dass dieses Ziel nicht unmittelbar im Fordergrund stand. 

Fragen wir uns nun, was ist die klassische Lehre und was steckt hinter dem Begriff klassische Reitkunst, dann sollten wir einmal genauer hin schauen.

Die klassische Reitkunst bedient sich des Begriffes der Klassik. Dieser Begriff steht für das Zeitalter der Antike - findet aber auch Verwendung für mehrere Kunstepochen. Im Lexikon steht der Begriff allgemein für das Streben nach Klarheit, Maß und Harmonie, das Vorhandensein von festen Regeln.
Unter dem Begriff Klassikern verstehen wir aber auch jene Dichter Schriftsteller und Künstler, deren Werke vorbildlich auf die Nachwelt Einfluss genommen haben und als Höhepunkt der betreffenden Kultur zu sehen sind.
Betrachten wir den Begriff der Klassik in Bezug auf die klassische Kunst, so verstehen wir darunter die Kunst Griechenlandes zwischen 480 v. Chr. und dem Tod Alexander des Großen 323 v. Chr.
Charakteristische Eigenschaften dieser Kunst waren die Zeitlosigkeit, die Harmonie und die Naturähnlichkeit.

Wie lässt  sich nun das Verständnis für den Begriff der Klassik, mit unsere Vorstellung von den Inhalten der klassischen Reitkunst verbinden?

Ein philosophischer Weg


Raffael 1510 - 1511 "Die Schule von Athen" Fresko aus dem Vatikan

Wer philosophiert stellt Fragen. Wir müssen uns fragen was ist die klassische Reitkunst.
Der Begriff „klassisch" gibt uns den zu gehenden Weg vor. Wir sollten dort beginnen wo der Begriff „Klassik" und der erste Reitmeister sich begegnen, in der griechischen Antike. Der Reitmeister, Feldherr und Philosoph Xenophon hat nicht nur das erste uns erhalten Werk über die Reitkunst verfasst, er war darüber hinaus gemeinsam mit Platon ein Schüler und Zeitgenosse des Philosophen Sokrates.
Auch wenn uns Sokrates nicht direkt wichtig erscheinen mag, als ein Reitmeister seiner Zeit. So ist die Zeit der Antike mit dem philosophischen Gedankengut maßgebend für den Verlauf unserer Weltgeschichte und ohne das Pferd ... Was würde in unseren Geschichtsbüchern stehen? 

 

Sokrates war es, der durch den Dialog seinen Gesprächspartnern Erkenntnis gebären ließ. Er bezeichnete seine strukturierte Form des Dialoges auch als Mäeutik („Hebammenkunst").

Oft ließ er seine Gesprächspartner so die eigene Unwissenheit feststellen. Indem er nichts anders tat als Fragen zu stellen.

„Ich weis, dass ich nichts weis und damit weis ich mehr als alle anderen."

Die Geschichte der Reiterei ist voll mit guten und schlechten Wegen. Lernen wir Fragen zu stellen - und stellen wir auch mal was in Frage, glauben wir nicht immer den ersten schönen Schein.

Unser Ziel sollte ein gut ausgebildetes Pferd sein, das sich in unserer Obhut wohl fühlen kann. Nicht ein ausschließlich klassisches Ziel, aber ein modernes, das durch die Erkenntnisse der Vergangenheit zu einer neuen klassischen Form finden kann.

 

„Wer die Wahrheit liebt, der muß
Schon sein Pferd am Zügel haben.
Wer die Wahrheit denkt, der muß
Schon den Fuß im Bügel haben.
Wer die Wahrheit spricht, der muß
Statt der Arme Flügel haben!"

Werner Böhm; Ross und Reiter; Olms 1996 / S. 75